Markus Vater über Kunst und Kooperation
"Andere künstlerische Praktiken, Methoden und Arbeitsweisen"

Die HBK Essen bietet den innovativen Masterstudiengang "Kunst und Kooperation" an. Markus Vater, Professor für Malerei/Grafik und Fachgebietsleiter für Interdisziplinäre Studien, stellt den Studiengang im Interview vor.

Kooperationen werden im Kunststudium bisher weder bewusst gesteuert noch gebührend reflektiert, obwohl eine sich öffnende Kunstpraxis in einer polarisierenten Kunstwelt immer wichtiger wird. Vor diesem Hintergrund ist der projektorientierte und disziplinübergreifende Studiengang "Kunst und Kooperation" an der HBK Essen entstanden. Dieser bietet Studierenden die Möglichkeit, das eigene künstlerische Profil in Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen und Feldern weiterzuentwickeln und zu schärfen.

Die Kooperationen können in verschiedenen Bereichen angesiedelt werden, die jeweils andere Möglichkeiten der Ausgestaltung bieten: sei es im Bereich Technik, Wissenschaft, Gesellschaft oder Unternehmen. Das Zusammenfinden und kollaborative Arbeiten in einer Gruppe stellt eine weitere Option dar.

Im Interview spricht Markus Vater, Professor für Malerei/Grafik und Fachgebietsleiter für Interdisziplinäre Studien an der HBK Essen, über die Notwendigkeit des Studiengangs, die Relevanz künstlerischer Autonomie und bereits erfolgte Kooperationen.

Der Masterstudiengang "Kunst und Kooperation" setzt eine individuelle künstlerische Praxis in Beziehung zu anderen Praxisfeldern, Disziplinen oder Personengruppen. Warum ist dieser Ansatz von Bedeutung?

Markus Vater: Meiner Ansicht nach gibt es zwei Gründe. Für die eigene künstlerische Praxis ist es ungemein wichtig und zuträglich, aus dem Atelier herauszugehen, sich zu öffnen und den eigenen Horizont durch Kooperationen zu erweitern. Das Kunstmachen profitiert davon. Hinzukommt, dass nur sehr wenige freischaffende Künstler*innen von ihrer Kunst leben können. Die Mehrheit ist darauf angewiesen, andere Wege zu gehen. Hier versuchen wir Ideen zu entwickeln und Kontakte zu verschiedenen Feldern aufzunehmen, in denen Kunst eine Rolle spielen kann. Davon profitieren Institutionen, Personen oder Praxisgruppen und gleichzeitig die Kunstschaffenden, die ihre künstlerische Praxis bereichern und unter Umständen ein weiteres berufliches Standbein aufbauen können.

Das leisten andere Studiengänge für freie Kunst nicht?

Natürlich gibt es Studierende, die in ihrem Studium bereits eigenständig Kontakte zu Institutionen oder Unternehmen aufnehmen, Kollaborationen eingehen oder kollektiv arbeiten. Wir möchten ein solches Vorgehen aber bewusster steuern, unterstützen und gebührend reflektieren.

Ist der Studiengang eine Reaktion auf spezifische Entwicklungen innerhalb der Kunstwelt?

Der Studiengang reflektiert bestimmte Entwicklungen. Auf der einen Seite gibt es einen kommerziellen Kunstmarkt, in dem wenige Persönlichkeiten so hoch gehandelt werden wie nie zuvor. Die Idee des Genies existiert weiter. Gleichzeitig wird der Sozialstaat immer weiter abgebaut. Es gibt immer weniger Freiräume und Bereiche, in denen Künstler*innen arbeiten können, ohne einen wachsenden ökonomischen Druck zu erfahren. Kunstschaffende lavieren sich zwar seit Jahrhunderten durch und leben oft prekär, aber es ist viel dramatischer geworden. Dadurch bekommen bestimmte Formen des Kunstmachens einen wichtigeren Stellenwert wie das Zusammenfinden in einer Gruppe oder Kooperationen mit Bereichen, die normalerweise der Kunst fern eingeschätzt werden. Dass es eine solche Verschiebung in der Kunstwelt auf andere künstlerische Praktiken, Methoden und Arbeitsweisen gibt, wurde deutlich bei der documenta fifteen, die ihren Fokus auf das Kollektive legte. Oder wenigstens wurde klar, dass dies nun mehr reflektiert und diskutiert wird.

Wird die künstlerische und individuelle Freiheit herausgefordert, sei es bei Kooperationen und kollaborativen Arbeiten?

Ich bin der Überzeugung, dass individuelles Arbeiten auch in der Gruppe und im Austausch mit zum Beispiel Institutionen existieren muss. Wenn das ganz ablegt wird und ausschließlich Kompromisse eingegangen werden, dann entsteht für beide Seiten kein Mehrwert. Im Zweifel ist es wichtig, Argumente für die künstlerische Freiheit zu finden und den Mehrwert, den diese hervorbringt. Das reflektieren wir in unseren Kolloquien. Ein freies, respektvolles Miteinander, in dem sich die eigenen Vorstellungen angstfrei zeigen können, ist wichtig. Dies ist Basis für eine gute Kollaboration.





















Welche Entwicklungen konnten Sie bei Studierenden bisher beobachten?

Der Studiengang ist zwar noch sehr jung, denn die ersten Absolvent*innen wurden erst letzten September verabschiedet. Aber bei der Malerin Bettina Lange konnte ich eine bemerkenswerte Veränderung in ihrer Arbeit beobachten. Sie interessierte sich in ihrer Arbeit für ‚das Böse‘. Ein komplexes schwieriges Thema. Ihre früheren Bilder porträtierten eine düstere Welt. Während ihrer Kooperation hellten sich ihre Arbeiten auf und statt realer Tatorte oder Porträts von Tätern zu malen, wählte sie erfundene Kompositionen und Figurationen. Während ihrer Kooperation mit der JVA gab sie einen intensiven wöchentlichen Malkurs für Insassen des Gefängnisses, der zu dieser unvorhergesehenen Veränderung führte. Sehr schön fand ich auch eine interne Kooperation von den Studierenden Britta Frechen und Jörg Hildebrandt, sie sich für eine Installation und Performance im Rahmen einer Kunstmesse zusammengetan haben und die Kooperative für Luftraumbegrünung gegründet haben. Die Studierenden Shicheng Shen und Dian Zhuang, die zuvor Produktdesign in China studiert hatten, haben in diesem Studiengang, wie ich finde, ungemein von den freien, künstlerischen Aspekten profitiert und tolle Abschlussarbeiten präsentiert.

Welche Kooperationen würden Sie sich in Zukunft wünschen?

Da gibt es viele. Ich fände eine ernstgemeinte Kooperation mit einem Tier interessant, die sich mit unterschiedlichen Formen von Bewusstsein auseinandersetzt. Eine Kooperation im Bereich der Psychotherapie, wäre ebenfalls spannend. Ich glaube, dass Kunst dort konkret eine wichtige Rolle spielen kann, wo es um seelische Zustände geht. Mir würde ebenso eine Kooperation mit einer Naturwissenschaft gefallen, in denen es, wie in der Kunst, um Wahrnehmung geht. Ich denke außerdem an eine Kooperation mit einem Unternehmen, in dem Künstler*innen nicht nur Teil einer nach außen sichtbaren PR-Maßnahme sind, sondern in die Produktionsprozesse involviert sein können. Künstlerisches Denken und Arbeiten kann dort etwas Wertvolles leisten, wie ich glaube. Zurzeit stehe ich außerdem im Dialog mit einem Autor und Professor im Bereich der sozialen Arbeit und Kunst. Auch dort sehe ich tolle und wichtige Möglichkeiten für Kooperationen.

Sind Sie selbst schon Kooperationen eingegangen?

Ich habe lange in der Künstlergruppe hobbypopMuseum gearbeitet und ich gehe immer wieder Kooperationen ein. Zurzeit arbeite ich zum Beispiel mit dem Maler Holger Bunk an einem Buch. Mit dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig ging ich im Rahmen einer Ausstellung eine Kooperation ein, bei der Zeichnungen für Primaten entstanden.

Ende März präsentieren sich Absolvent*innen des Masterstudiengangs auf der Degree Show der HBK Essen? Können Sie bereits etwas verraten?

Die Studierenden werden Arbeiten in Essen zeigen, aber auch in einer aus eigener Kooperation organisierten Ausstellung am Campus Wuppertal. Simon Tretter wird eine raumgreifende Virtual-Reality-Arbeit präsentieren, die etwas mit dem Gemälde "Der Mönch am Meer" zu tun hat und Yiwei Kao hat Malereien entwickelt, in denen Augmented Reality eine Rolle spielt. Xiaoting Sun und Wei Wei Gao zeigen Malerei. Ludwig Linden hat große, merkwürdige Skulpturen geschaffen. Er kommt aus der Malerei und wollte seine eigene künstlerische Praxis weiterentwickeln. Er ist eine Kooperation mit der Eberhard & Barbara Linke Stiftung eingegangen, die auch Brennöfen bereitstellt, wodurch seine großen Skulpturen umsetzbar wurden.

 

Die Bildergalerie zeigt Absolvent*innen und Abschlussarbeiten des Studiengangs Kunst und Kooperation.
Fotos: HBK Essen | Tjorben Meier

Kunst und Kooperation

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